Der Ehemann ist vom Skateboard gefallen. Hört sich weniger schlimm an, als es ist. Aber er hat sich dabei sein rechtes Bein so mies gebrochen, dass er jetzt für mindestens sechs Wochen ausfällt, flach liegt, das operierte Gelenk nicht bewegen darf. Wenn er es doch tut, dann könnte es für immer vorbei sein mit dem freien Laufen. Kein Spaß. Für niemanden.
Sechs Wochen mindestens hängt jetzt alles an mir. Klar, Alleinerziehende lachen jetzt vermutlich, sagen, dass ist bei uns immer so. Stimmt schon. Großer Respekt an dieser Stelle für diese Leistung. Ganz im Ernst.
Für mich ist es von heute auf morgen ins kalte Wasser geworfen zu sein, alle Pläne, inklusive Urlaub, sind mal eben über den Haufen geworfen. Neue Pläne machen, organisatorische erstmal. Wer fährt die Kinder von A nach Z wenn ich Yoga unterrichte, wer holt sie ab, wenn ich Stunden habe. Zahlt mir als Selbstständiger ja niemand, wenn ich die Stunden ausfallen lassen würde. Wer übernimmt die Yogastunden vom Ehemann? Wer fährt ihn zur Krankengymnastik, sollte ich kein Zeit haben. Wie bekomme ich Texte, Stunden, das Yoga-Festival, das geplant werden will, die Weiterbildungen, die Workshops, die Studio-Organisation mit Haushalt und vorallem den Kindern und ihren Sommerferien unter einen Hut? Geht ein bisschen wegfahren ohne den Ehemann überhaupt? Und: Wollen wir das?
Auch klar, all das ist Jammern auf Hohem Niveau. Anderen Familien geht es viel schlechter. Und das ist wichtig, das nicht zu vergessen. Im Prinzip geht es mir gut. Geht es uns gut. Die OP verlief gut, das Supportsystem ist großartig.
Yoga hilft mir, also Yoga als gesamtes System, nicht die auf Asanas reduzierte Form. Alles ist vergänglich, sagen die Yogis. Diese Erkenntnis ist zwar meistens erstmal die Ursache für Leid, aber das Wissen, das alles kommt, da ist und wieder vergeht, kann in Situationen wie meiner auch sehr tröstlich sein. Und was sind schon sechs oder acht Wochen? Eine kurzer Moment.
Yoga hilft mir, weil ich durch ihn erfahren habe, dass loslassen, vairagya, befreiend ist. Früher, da bin ich mir sicher, hätte ich länger gehadert, getobt, geschimpft, wäre aufgegangen im Frust und Selbstmitleid, weil alles nicht so läuft, wie ich mir das für den Sommer, für mein Leben vorgestellt hatte. Kein Sardinien, keine gemeinsamen Festival-Workshops, keine halbwegs selbstbestimmte Zeit, keine Unhabhängigkeit. Merkt ihr übrigens? Ich, ich, ich. Asmita, die Selbstbezogenheit, ein Klesha, eine Störkraft, macht nicht ruhig, sondern unruhig, verschwendet Energie an der falschen Stelle.
Darum vairagya, ein Wort, das mich immer an viagra erinnert, in der Wirkung auch mindestens so potent ist. Denn Loslassen von den Erwartungen, von den Vorstellungen und dem persönlich Beleidigtsein aufs Universum führt zu sehr viel innerem Frieden und ebensolcher Freiheit.
Yoga, das darshana, also die Sichtweise auf die Welt, hilft mir, im Augenblick zu bleiben, fokussiert eine Sache nach der anderen zu erledigen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, Dinge abzusagen, die gerade zu viel Stress machen, ishvara pranidhana zu prakizieren, die Akzeptanz, nicht alles in der Hand zu haben, eine andere Form von vaiyagra.
Und Yoga hilft mir, all das Schöne zu sehen, das auch passiert. Diese unglaublich tolle Unterstützung aus so vielen unerwarteten Ecken. Sei es mit Worten und ganz selbstlosen Taten. Das flasht mich, berührt mich zutiefst, immer wieder. Das ist Maitri und Karuna, was uns da entgegenkommt, Liebe und Mitgefühl. Früher hätte ich damit nicht umgehen können, hätte gedacht, alles alleine stemmen zu können, müssen, vermutlich, weil ich tief in mir gedacht habe, ich bin diese freundliche Zugewandtheit, diese loving care, nicht wert.
Yoga hat das verändert. Annehmen ist möglich, löst tiefe Dankbarkeit und Freude in mir aus.
Alles hat einen Sinn, sagt das Yoga-Sutra. Auch wenn man ihn nicht immer gleich erkennt oder versteht. Und vielleicht ist ein Sinn dieses eigentlich unsinnigen Skateboard-Sturzes für mich, genau dieses zu erkennen und fühlend zu erfahren. Heilsam. Sehr sogar.
Alles kommt, alles ist da, alles geht. Der Frust, das gebrochene Bein, die Wunde, die Heilung. Und Sardinien ist für meine hitzeunresistente Familie vermutlich im August sowieso zu heiß.
OM